Die soziale Stellung
"Der Scharfrichter
oder
Henker
war der Unehrlichste
unter den
unehrlichen Leuten".
So beginnt
Werner Danckert
den Abschnitt
über die soziale Stellung
der Scharfrichter
in der Gesellschaft.
Aus diesem Satz geht hervor, dass der Freimann
zu einer Gruppe von Menschen gehörte,
die "unehrlich"
war.
Was bedeutete das aber?
Unehrlichkeit ist nicht mit Unredlichkeit gleichzusetzen, es war vielmehr ein Ausschluss aus der ständischen Gesellschaft. Den Makel der Ehrlosigkeit trugen neben dem Scharfrichter noch außerehelich Geborene (um in eine Zunft aufgenommen zu werden, war der Nachweis der ehelichen Geburt notwendig), Amtsbüttel, Gefängniswärter, Gerichtsdiener, Totengräber, Abdecker, Schäfer und Hirten, Müller und Leinweber, Töpfer, Ziegler, Türmer, Nachtwärter, fahrende Gaukler und Spielleute, Marktschreier und Zahnzieher, Freudenmädchen, Bader und Barbiere, Wurzelkrämer, Bettelvögte, Hundshautgerber und Schweineschneider. Trotzdem: man kann nicht alle in einen Topf werfen. Häufig waren zum Beispiel die Müller nicht nur wohlhabende Leute, sondern auch höchst angesehen.
Grundsätzlich war dem Scharfrichter der Zugang zu einer Zunft sowie einem kirchlichen oder politischen Amt verschlossen. Er konnte nur mit Seinesgleichen verkehren und natürlich auch nur innerhalb dieses Personenkreises eine Frau heiraten. Dieser Umstand bedingte das Entstehen ganzer Scharfrichterdynastien, denn es herrschte Sippenhaft (oder Kastensystem). Auch die Kinder der Scharfrichter besaßen keine Möglichkeit, in ein "ehrliches" Handwerk aufgenommen zu werden.
Eine Ausnahme stellte die Möglichkeit des Scharfrichters dar,
eine Frau freizubitten.
Das hieß,
er konnte eine verurteilte Frau
vor dem Tode retten,
indem er sie heiratete.
Vor diesem Angebot machten viele Sünderinnen
nicht
Gebrauch und zogen das Sterben vor,
was recht aussagekräftig in Bezug auf die Situation des Henkers ist.
Ein weiterer Aspekt des ehrlosen Daseins war der Ausschluss aus der Stadt. Die Scharfrichter mussten seit dem 15. Jahrhundert am Rande der Stadt und vielfach sogar ungeschützt außerhalb der Stadtmauer leben.
Dass die Bürger wenig begeistert davon waren, zusammen mit einer Henkersfamilie in der Stadt zu wohnen, zeigt ein Beispiel aus Hall in Tirol im Jahre 1698. Seit 1503 hatte alle Haller Scharfrichter in diesem Haus in der Stadt gewohnt. Nun aber wollten die ehrenwerten Bürger sie nicht mehr (kennt man ja, heute gibt es zwar keine Scharfrichter mehr, aber da finden die ach so ehrenwerten Bürger eben andere Menschen, die einem nicht passen und die man sich weg wünscht).
Die Diskriminierung der Scharfrichter hatte damit noch lange kein Ende gefunden. Es war ihm verboten, zusammen mit anderen im Wirtshaus zu trinken. Für ihn war ein eigener Tisch reserviert, soweit es ein Gasthaus war, das dem Henker überhaupt den Zutritt erlaubte (was aber noch lange nicht bedeutete, dass dort auch die Abdecker und Scharfrichterknechte verkehren durften). Und ganz wichtig: der Scharfrichter musste sich sein eigenes Trinkgefäß mitbringen. Badestuben waren ihm in der Regel von vornherein verboten.
Der Henker durfte vielerorts
- wenn überhaupt -
nur in einer bestimmten Kirche
den Gottesdienst
besuchen
und musste dafür
mit seiner Familie
auf einer Extra Bank sitzen.
Er durfte außer Wölfen keine Tiere jagen. Sein Vieh durfte nicht auf der Gemeindeweide weiden. Die Beschränkungen, welche für den Freimann galten, waren selbstverständlich auf die gesamte Familie ausgedehnt. Personen, die seine Kinder aus der Taufe hoben, wurden fünf Tage im Turm bei Wasser und Brot eingesperrt - nicht um sie zu bestrafen, sondern um sie wieder ehrlich zu machen. Eine Henkersfrau hatte größte Schwierigkeiten eine Hebamme zu finden. Die Berührungsscheu war so groß, dass sie selbst nach dem Tod eines Scharfrichters bestehen blieb. Es erklärte sich nur widerwillig jemand dazu bereit, dem Henker das letzte Geleit zu geben und ihn zu begraben. Aus dieser Angst vor dem Kontakt mit dem Freimann ist es auch zu erklären, dass es eine besondere Gnade war, als Verurteilter nicht von ihm berührt zu werden und damit ehrenvoll zu sterben. Nun wird es auch vorstellbar, wie schwer die Strafe für Unzucht, nämlich mit dem Henker zu tanzen, war. Für eine, zu solch einer Strafe verurteilten Frau war die Rückkehr in die bürgerliche Welt nicht mehr möglich.
Um die Unehrlichkeit des Scharfrichters für jeden sichtbar zu machen, war für ihn eine besondere und sehr auffällige Kleidung vorgeschrieben. Damit jeder sofort sah, wer da kommt. Dann konnte man rechtzeitig ausweichen, denn schließlich war schon das nebeneinander herlaufen mit einem Scharfrichter oder Abdecker etwas unehrenhaftes.
Vereinzelt gab es Bemühungen, das Image der Scharfrichter aufzupolieren. Gesetze Maria Theresias aus den Jahren 1753 und 1772 besagen, dass der Scharfrichter nur während der Ausübung seiner Tätigkeit unehrlich sei, nicht aber nach seiner Pensionierung oder in Falle einer Kündigung. Erfolg hatten diese Gesetze nicht, auch nicht die, welche der Familie des Henkers grundsätzlich Ehrlichkeit bestätigten und sie somit für die Ausübung eines jeden Gewerbes geeignet erklärten. Man war ja eigentlich immer kaisertreu. Aber das ging dann wirklich zu weit. Nicht einmal im Bezug auf die Henkersfamilie trat ein Umdenken ein. Davon zeugt ein Schreiben aus dem Jahre 1793, in dem der Vormund der Kinder des verstorbenen Scharfrichters von Hall um eine staatliche Unterstützung ansucht: "Sie sind Scharfrichterkinder und haben deswegen Verachtung zu befürchten, weil das zwar unvernünftige, aber bei gemeinen Leuten allgemeine Vorurteil, daß die Unehrlichkeit den Stand dieser Leute brandmarke und sie immer infam seien, unüberwindliche Wurzeln geschlagen hat." Deshalb hatten sie "das traurige Schicksal in Armut, Verachtung und äußerstem Elend in der Welt herumlaufen zu müssen." Die Kinder des Scharfrichters waren Vollwaisen und konnten weder Hilfe noch Anstellung finden.
So groß die Abscheu vor dem Henker und seiner Familie war, so gering wurde sie, wenn man den Scharfrichter in aller Heimlichkeit als Arzt in Anspruch nahm. Es gab für die einfachen Leute niemanden, der so gut über die menschliche Anatomie Bescheid wusste, wie der Freimann. Aber es war auch der Aberglaube, auf dem die Heilkraft des Henkers beruhte. Er konnte schließlich Dinge beschaffen, die anderen nicht zugänglich waren und denen man heilende Wirkung zuschrieb wie Galgenholz, Galgenstricke und - ups - Gliedmaßen. Blut von Hingerichteten sollte gegen Epilepsie helfen; abgehackte Finger von Verbrechern förderten, in den Futtertrog gelegt, das Wachstum der Tiere; das sogenannte Armensünderfett, also das aus den Leichen gewonnene Fett, spielte in der Volksmedizin bis in das 19. Jahrhundert eine bedeutende Rolle.
Erst die Reichsgesetze der Jahre 1731 und 1772 erklärten die Kinder aus Henkersfamilien für "ehrlich", aber nur wenn sie das väterliche Gewerbe verließen. Dann, die Revolution: ab 1819 galten auch Scharfrichter und ihre Knechte in Preußen als dem bürgerlichen Stand zugehörig.